
Radlrudel beim Klassiker Paris–Brest–Paris
Linda Sarmiento und Elias Weber starteten beim Rad-Klassiker Paris–Brest–Paris, ein mehr als 1.200 km langer Fahrradmarathon, der alle vier Jahre stattfindet. Von der französischen Hauptstadt ging es an den Atlantik. Wendepunkt war in der nordwestfranzösischen Stadt Brest in der Bretagne. Entstanden ist der Rad-Marathon aus dem gleichnamigen Radrennen Paris–Brest–Paris für Profis und Amateure, das erstmals am 6. September 1891 und zuletzt 1951 stattfand. Linda Sarmiento berichtet von den Höhen und Tiefen, die ein solcher Rad-Marathon mit sich bringt.
Am Tag vor dem Start holten Elias und ich die Startunterlagen auf dem Gelände des Schlosses in Rambouillet ab. Der Rahmen für ein solches Event könnte nicht schöner sein. Bereits an diesem Tag traf ich alte und neue Bekannte – teils zufällig, teils abgesprochen. Unfassbar, dass man inmitten der Tausenden von Teilnehmern so viele bekannte Gesichter sieht. Nachdem ich am Abend mein Fahrrad fertig bepackt hatte, hoffte ich auf eine erholsame letzte Nacht. Ich konnte zwar gut schlafen, aber leider zu kurz. Da war wohl die Aufregung zu groß.
Abfahrt war am Sonntag um 16:45 Uhr. Wir hatten 80 Stunden Zeit, um wieder genau hier anzukommen. Die ersten 200 km waren schnell, etwas zu schnell vielleicht. Aber wir haben immer gute Gruppen gefunden oder schnelle Tandems. Danach bremsten wir uns etwas ein. Die Nacht lief gut. Gegen 7 Uhr morgens überkam mich dann eine große Müdigkeit, weshalb ich am liebsten stehen geblieben wäre und mich irgendwo in die Wiese gelegt hätte. Aber leider war alles feucht vom Tau. Elias war zuvor einem Tandem gefolgt und war daher ein paar Minuten vor mir. Ich kämpfte eineinhalb lange Stunden gegen den Schlaf mit mir. Ich wechselte meine Positionen ständig, schaute viel umher, versuchte irgendwie wach zu bleiben. Nichts hat geholfen, sodass ich mir dachte, ich will einfach nur schnell beim nächsten Kontrollpunkt sein.
Ich trat in die Pedale, hinter mir ein Zug voller Männer. Dabei holte ich auch Elias kurz vorm Kontrollpunkt ein. Gemeinsam kamen wir nach 354 km in Tinténiac an. Von den Männern hinter mir bekam ich einige Daumen hoch. Nach einem Snack legten wir uns für eine Stunde schlafen. Danach ging es gleich weiter, keine Zeit für Schlaf. Der Tag lief gut, aber es war heiß. Vor allem an den Hügeln vor Brest brannte uns die Sonne auf den Kopf. Am Straßenrand standen immer wieder „Fans“, die uns anfeuerten und uns Radfahrer mit Wasser und zum Teil mit Snacks versorgten – einfach so. Leute saßen vor ihren Häusern und applaudierten. So ging das von Anfang bis Ende, eine grandiose Stimmung und moralische Unterstützung, vor allem in Momenten, in denen man mit sich kämpft. Merci!
Die letzten Meter nach Brest hatten einige Höhenmeter, es tat nochmal weh. Aber am Montagabend kamen wir schließlich nach über 600 km um 23:30 Uhr mit einem knapp 27er Schnitt in Brest an. Wir haben wohl zu viel an den Kontrollstellen getrödelt und geratscht, aber egal, es ist kein Rennen. Nach einem ausgiebigen Essen radelten wir 10 km zum Hotel, welches auf dem Rückweg lag und gönnten uns eine Dusche und viereinhalb Stunden Schlaf.
Um 5:45 Uhr klingelte der Wecker. Schnell alles gepackt, einen Kaffee hinuntergekippt und los ging’s gegen 6:30 Uhr. Die Bepanthen-Creme konnte in viereinhalb Stunden natürlich nicht viel heilen und die Popo-Chamoix-Creme war auch nur wenig hilfreich, aber ich hatte ja keine Wahl. Die Knie hatten sich etwas erholt, meldeten sich aber nach einigen Kilometern natürlich wieder. Abgesehen davon lief der Tag recht gut. Wir waren etwas langsamer unterwegs, aber kein Wunder. Am späten Vormittag überkam mich wieder eine Müdigkeitswelle, die ich im nächsten Dorf mit einem Kaffee und netten Gesprächen mit den Bewohnern versuchte zu stillen. Danach war ich wieder fit. Elias und ich trennten uns teilweise, da wir einen unterschiedlichen Rhythmus fuhren. Um der Sonne zu entkommen, chillten wir am Nachmittag wieder ein bisschen im Schatten. Es wurde Abend, endlich kühler, und wir radelten und radelten. Gegen 23:00 Uhr (300 km vorm Ziel) erreichten wir einen Kontrollpunkt, wo wir wieder ein richtiges Essen hatten. Ich wurde plötzlich furchtbar müde und überlegte, hier zu schlafen, obwohl unser Plan war, die Nacht durchzufahren und dann zu schlafen, sodass uns nur noch gute 200 km fehlten. Mental machte das natürlich einen großen Unterschied.
Also gab es noch eine Cola und um ca. 1:00 Uhr ging’s ab aufs Rad, nachdem Armlinge, Beinlinge dran waren, alles verstaut war – 90 km bis zum nächsten Kontrollpunkt, 90 km bis zum Schlaf. Da Elias schon etwas früher fahrbereit war, fuhr er schon los, da ihm kalt wurde. Ich machte mich zehn Minuten später auf den Weg. Schon kurz darauf bereute ich es und fluchte. Warum habe ich mich überreden lassen? Ich fuhr alleine durch die Nacht, keine anderen Radfahrer weit und breit. Ich schlief fast ein, aber zum Glück erreichte ich bald ein Dorf mit einem Stand. Ich bekam einen großen Kaffee, in den ich drei Päckchen Zucker kippte und ließ mich in den Liegestuhl fallen. Ich plauderte mit den Leuten und dennoch fielen mir fast die Augen zu. Aber nein, ich musste weiter, ich wollte bis zur nächsten Kontrolle fahren. Der Kaffee wirkte lange nicht. Ich trödelte mit 120 Watt dahin. Nach einer Weile rauschte eine Gruppe Männer vorbei. Das brauchte ich wohl, meine Chance. Ich hing mich dran und übernahm auch oft die Führung. Ich hatte wieder Energie – zumindest für eine Weile.
Irgendwann blieben sie stehen und ich war wieder allein. Ich fing an, Lieder zu singen, und fuhr selig durch die Nacht. Gegen 5:00 Uhr kam ich endlich beim nächsten Kontrollpunkt an. Ich rief Elias an, da ich dachte, er wäre schon angekommen. Aber offensichtlich haben wir uns irgendwo verpasst. Er war nur zehn Minuten hinter mir, weshalb ich auf ihn wartete. Wir gönnten uns zweieinhalb Stunden Schlaf und ein Frühstück – nur noch gute 200 km. Ich hatte wieder Kraft, wir nahmen noch Bekannte mit, einen Franzosen und einen Engländer, die genau unser Tempo hatten – es lief gut. Trotzdem wurden die Kilometer gefühlt kaum weniger. Die Gruppe wurde größer, wir überholten einige, die sich an uns dranhingen. Es war oft ein Durcheinander, man merkte, dass alle müde waren. Es war mir oft zu gefährlich mittendrin. Daher ging ich öfters nach vorne und zog. Es kostete mich zwar mehr Energie, aber ich konnte mein Ding fahren und musste nicht ständig auf alle aufpassen. Natürlich rächte sich das irgendwann, aber nachdem wir nach dem anschließenden Kontrollpunkt die anderen wieder los waren, zog mich unsere kleine Gruppe, bis ich mich wieder erholt hatte. Und schwuppdiwupp waren wir im Ziel. Auf den letzten 100 m applaudierten viele Leute, die vor Ort waren oder welche, die selbst gefahren sind und schon im Ziel waren. Was für ein Gefühl, es geschafft zu haben.
5. September 2023