
Richard Müller: Masseur, Präsident & Laienprediger
Richard „Richie“ Müller hatte auch für einen Präsidenten des TSV München von 1860 e.V. eine ungewöhnliche Vita. Geboren am 25. Juni 1935 war er vor seiner Zeit bei den Löwen erst mal beim Stadtrivalen für die medizinische Betreuung der Profis zuständig. Nach langer Krankheit starb er am Sonntag, 27. August 2023 mit 88 Jahren in München.
Beim FC Bayern war Richie Müller zunächst Schiedsrichter, später übernahm er die medizinische Betreuung der Profis zu deren Glanzzeiten in den 1960er und 1970er Jahren. 15 Jahre lang kurierte er Spieler wie Franz Beckenbauer, Sepp Maier oder Gerd Müller. Noch Jahre später mokierte sich Löwen-Legende Petar Radenkovic in der Abendzeitung darüber: „Müller kam als Masseur des FC Bayern. Das wäre heute undenkbar.“
Dabei kam Müller nicht direkt als Präsident an die Grünwalder Straße. Am 1. Oktober 1980 unterschrieb er seinen Mitgliedsantrag bei den Sechzgern, wurde Nachwuchsleiter in der Fußball-Abteilung. Unter seiner Ägide spielten die A-Junioren in der Saison 1981/1982 um die Deutsche Meisterschaft.
Zum Präsidentenamt kam Müller wie die Jungfrau zum Kind. Nachdem der Liga-Ausschuss des DFB den Löwen die Lizenz für die Saison 1982/1983 verweigert hatte, nahm Erich Riedl seinen Abschied als Präsident. Müller trat am 7. Juni 1982 in der prekären Situation seine Nachfolge an. Zusammen mit seinem Schatzmeister Peter Englert reichte er anschließend verbesserte Unterlagen ein, musste sich aber am 30. Juni vom DFB-Schiedsgericht erklären lassen, dass es das Urteil des DFB-Vorstands auf Lizenzentzug als richtig ansehe.
Das war jedoch immer noch nicht das Ende der Fahnenstange. Müller und Englert kämpften weiter. Es blieb noch der Weg vor ein ordentliches Gericht. Per einstweiliger Verfügung wollte der TSV 1860 vor dem Landgericht Frankfurt die Wiedereingliederung in die 2. Liga bewirken. Zunächst sah es auch ganz gut für die Löwen aus. Der Richter betrachtete die Vereinbarung des DFB-Schiedsgerichts für unwirksam und höchst bedenklich.
Dann jedoch ließ der DFB seinen Chef-Justiziar Götz Eilers von der WM in Spanien einfliegen. Dieser machte dem Gericht klar, dass man die Spielregeln einhalten müsse, dass es unmöglich sei, die in Kürze beginnende 2. Liga auf 21 Klubs aufzustocken. Dabei spielte es keine Rolle, dass der TSV 1860 inzwischen finanziell gar nicht mehr so schlecht dastand. Und so gab das Landgericht dem Verband recht. Am 27. Juli 1982 schließlich griffen die Sechzger nach dem allerletzten Strohhalm. Man richtete an DFB-Präsident Hermann Neuberger ein Gnadengesuch. Doch das wurde abgeschmettert. Daraufhin war es amtlich: Die Löwen mussten mit Richie Müller als Präsidenten unwiderruflich in die Bayernliga absteigen.
Das Ende der Amtszeit von Müller kam nach etwas mehr als zwei Jahre ebenso überraschend, wie es begonnen hatte. Müller wollte am 19. Juli 1984 im Saal des Vereinsheims an der Auenstraße durchaus erneut kandidieren, hielt eine sehr theatralische Eröffnungsrede („Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir und Ihnen hoffentlich auch in dieser schweren Stunde“), war anschließend wie vom Donner gerührt, als kurz nach 19 Uhr plötzlich der Münchner Bauunternehmer Karl Heckl den Raum betrat und bekanntgab, dass er ebenfalls kandidieren würde. Müller zog daraufhin entnervt und enttäuscht seine Kandidatur zurück, blieb aber dem Verein über all die Jahrzehnte treu und wohlgesonnen.
Müller war ein gläubiger Mensch. Seit 1994 war er ehrenamtlich als Volksmissionar für die „Gesellschaft für Innere und Äußere Mission“ der lutherischen Kirche unterwegs, hielt auf Einladung in Gemeinden Vorträge, Bibelwochen und Evangelisationen. Auch in Sportheimen trat Müller auf, verkündete „Gottes Wort“ in einer nüchternen, realistischen Sprache. Ihm war es als Laienprediger immer ein Anliegen, seine Erfahrungen mit den Menschen zu teilen. Und diese hatte er reichlich gemacht.
29. August 2023