Die Abteilung für Vereinsgeschichte veröffentlicht im Jubiläumsjahr jeden Monat einen Artikel zur Historie der Löwen. Dieses Mal berichtet Claus Melchior über die jüngere Vergangenheit, dem Einstieg eines Investors bei den Profifußballern, dem Abstieg aus der 2. Bundesliga und dem schwierigen Weg zurück. Derweil konnten andere Abteilungen des „Turn- und Sportvereins“ in den vergangenen Jahren Spitzenleistungen verzeichnen.
In seiner 1968 erschienenen Autobiografie „Mit Zuckerbrot und Peitsche“ erzählt Max Merkel wie in der Gaststätte, in der er mit Adalbert Wetzel seinen Wechsel zu den Löwen klarmachte, ein mit Merkel befreundetes Ehepaar zu den beiden an den Tisch trat und mit Erstaunen vernahm, beim TSV München von 1860 werde auch Fußball gespielt, man habe gedacht, das sei ein Leichtathletikverein. Merkel selbst mokierte sich später mitunter über den „Turnverein“, in dem wenig fußballspezifischer Sachverstand vorhanden sei. Ein nicht unberechtigter Vorwurf, denn zweifellos wurde es in den so erfolgreichen 1960ern versäumt, die Grundlagen für eine Fortdauer dieser Ära und die dauerhafte Etablierung in der Spitze des deutschen Profifußballs zu legen.
Merkel und die Meisterlöwen haben aber dennoch dafür gesorgt, dass sich die öffentliche Wahrnehmung des TSV 1860 umgekehrt hat: Heute sieht man die Löwen in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr als Turn- oder Leichtathletikverein, sondern eher als einen auf den Hund gekommenen Fußballverein, der schon bessere Zeiten gesehen hat; Zeiten, die vielleicht nie wieder kommen werden.
Diese Wahrnehmung übersieht natürlich, dass der Verein auch weiterhin nicht FSV heißt, sondern unter dem Dach der Buchstaben T und S eine große Zahl von Abteilungen neben dem Fußball bestehen, die den Mitgliedern die Möglichkeit bieten, Breiten- und mitunter auch Spitzensport zu betreiben. Wahr ist allerdings auch, dass sich inzwischen jedes Präsidium im Spannungsfeld zwischen den Anforderungen des Profifußballs und den Bedürfnissen eines modernen Breitensportvereins bewegen muss, zumal der oft behauptete Automatismus, wenn es dem Profifußball gut gehe, dann komme dies auch den anderen Abteilungen zugute, ganz so einfach wohl doch nicht funktioniert.

Bereits 2011 stieg Hasan Ismaik (Mitte) als Gesellschafter bei der Fußball-GmbH ein. Rechts der damalige Präsident Dieter Schneider.
Beginnen wir diesen Rückblick auf die letzten Jahre der Vereinsgeschichte dennoch mit dem Fußballbereich, in dem es zu Entwicklungen kam, die den Verein erheblich erschütterten. Hier hatte 2011 der Einstieg eines Mitgesellschafters bei der KGaA eine Zäsur markiert. Die Erwartungen, nun auf solider wirtschaftlicher Basis der erhofften Rückkehr ins Fußballoberhaus näher zu kommen, erfüllten sich jedoch nicht.
Die Spielzeiten 2011/12, 2012/13 und 2013/14 beendete man mit großer Konstanz auf den Rängen sechs, sechs und sieben, hatte mit dem Aufstieg jedoch nichts zu tun. Aus damaliger Sicht eine Enttäuschung, doch immerhin gehörte man damit beständig zu den 25 besten deutschen Profivereinen. Für den sportlichen Bereich zeichnete in jenen Jahren Florian Hinterberger verantwortlich, als Spieler einer der Aufstiegshelden von 1991. Seine Ablösung im Jahre 2014 markierte einen Wendepunkt, denn von nun an ging‘s bergab.

2015 wendeten die Löwen durch einen Treffer von Kai Bülow in der Nachspielzeit gerade noch den Abstieg aus der 2. Bundesliga ab.
In der Saison 2014/15 landete man auf dem 16. Platz und musste in die Relegation, in der erst ein Treffer von Kai Bülow in der Nachspielzeit des Rückspiels gegen Holstein Kiel den Klassenerhalt sicherte. Ein Jahr später ging es nur einen Platz nach oben, womit immerhin die nervenaufreibende Relegation vermieden werden konnte.
2016/17 wollten Präsident Peter Cassalette und Mitgesellschafter Hasan Ismaik in enger Zusammenarbeit die Dinge zum Besseren wenden, heraus kam eine katastrophale Saison. Weder in der Geschäftsführung noch auf dem Trainerposten herrschte Konstanz, auch der Kader wurde sowohl im Sommer wie im Winter kräftig durcheinander gewirbelt. Am Ende stand erneut der Relegationsplatz und diesmal behielt mit Jahn Regensburg der Drittligist die Oberhand. Damit nicht genug: wenig später stellte sich heraus, dass der Verein die finanziellen Voraussetzungen für die Zulassung zur 3. Liga nicht erfüllen konnte, und so ging es gleich zwei Stufen herab in die viertklassige Regionalliga Bayern.
Das Traineramt übernahm nun Daniel Bierofka, der in den beiden Jahren zuvor sehr erfolgreich mit der 2. Mannschaft gearbeitet und auch bei den Profis ausgeholfen hatte. Zusammen mit Wolfgang Schellenberg, dem Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, löste er die Aufgabe, in kürzester Zeit einen konkurrenzfähigen Kader für die Regionalliga zusammenzustellen, mit Bravour. Der Abstieg bedeutete zugleich die Rückkehr der Löwenfußballer nach Giesing ins altehrwürdige Sechzger Stadion an der Grünwalder Straße, sehr zur Freude großer Teile der Fanszene. Vor beständig ausverkauftem Haus holte die Mannschaft die Meisterschaft und sicherte in den Qualifikationsspielen gegen den 1. FC Saarbrücken den Aufstieg in die 3. Liga, was den TSV 1860 vor dem Schicksal vieler Traditionsvereine bewahrte, die nach dem Absturz in die Viertklassigkeit über Jahre hinweg vergeblich versuchten und versuchen, die Rückkehr in die oberen Profiligen zu schaffen.
Träume von einem Durchmarsch zurück in die 2. Liga waren sicherlich von vornherein unrealistisch. Doch in den nunmehr drei Drittligajahren ging es beständig aufwärts. Die erste Saison, 2018/19, beendete man auf dem 12. Platz, ein Jahr später reichte es zu Rang acht. Im Herbst 2019 kam es zu einem Wechsel auf der Trainerposition: für den zurückgetretenen Aufstiegstrainer Daniel Bierofka übernahm Michael Köllner. Eine lange Serie ohne Niederlage weckte Hoffnungen, sogar im Aufstiegsrennen mitmischen zu können, doch letztlich reichte es nicht ganz. Ob es mit den nach der Corona-Pause aus dem Stadion verbannten Fans im Rücken zu mehr gereicht hätte, muss Spekulation bleiben. Immerhin konnte mit dem Bayerischen Totopokal im September 2020 sogar ein Titel gewonnen werden. In der laufenden Saison 2020/21 hat sich das Team um den unverwüstlichen „Fußballgott“ Sascha Mölders fest im oberen Tabellendrittel etabliert, Ergebnis einer insgesamt positiven Entwicklung, die hoffentlich noch lange nicht zum Ende gekommen ist.
Fußball beim TSV 1860 steht seit Jahrzehnten für eine herausragende Nachwuchsarbeit und daran hat sich auch in den letzten Jahren nichts geändert, wie alleine schon die Tatsache belegt, dass der gegenwärtige Profikader zu fast zwei Dritteln aus Spielern besteht, die an der Grünwalder Straße ausgebildet wurden. Und eine ganze Reihe von jungen Spielern, die auf den Spuren der Bender-Zwillinge oder eines Kevin Volland (um nur einige zu nennen) wandelten und den TSV 1860 in den letzten Jahren verließen, haben in der großen Fußballwelt Karriere gemacht: Julian Weigl und Florian Neuhaus wurden Nationalspieler, auch Felix Uduokhai stand im letzten Jahr erstmals im Kader von Joachim Löw. Marius Wolf und Lino Tempelmann spielen in der Bundesliga, Maximilian Wittek in der niederländischen ersten Liga; Christopher Schindler gelang mit Huddersfield Town der Sprung in die englische Premier League. Auch der inzwischen zu den Löwen zurückgekehrte Richard Neudecker spielte in der niederländischen Eredivisie, und vielleicht nimmt sich der eine oder andere seine Rückkehr als Beispiel.
Die Nachwuchsmannschaften der Löwen agierten in den letzten Jahren mit wechselndem Erfolg. Die 2. Mannschaft, der als Meister der Regionalliga Bayern in der Saison 2012/13 in den Qualifikationsspielen gegen die SV 07 Elversberg nur wenige Minuten zum Aufstieg in die 3. Liga fehlten, beendete bis 2017 mit einer Ausnahme sämtliche Spielzeiten unter den ersten drei der Tabelle. Seit dem Absturz der Profis ist sie gezwungen, in der Bayernliga Süd anzutreten. Die A-Junioren belegten 2014 und 2016 jeweils den 2. Platz in der Südgruppe der A-Jugend-Bundesliga; 2016 bedeutete das die Qualifikation für das Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft, in dem das Team knapp an Borussia Dortmund scheiterte. Im Hinspiel in Dortmund hatte Florian Neuhaus die Mannschaft mit einem Treffer von der Mittellinie zum Sieg geschossen, der später zum Tor des Monats gewählt wurde. 2017 erwies sich dann auch im Jugendbereich als Unglücksjahr. Sowohl die A- wie auch die B-Junioren mussten zurück in die Bayernliga; die U17 allerdings ist inzwischen in die Bundesliga zurückgekehrt. Nicht unerwähnt bleiben darf auch das bei den 1860-Junioren gepflegte soziale Engagement, das sich in einer Fülle von Projekten niederschlägt, bei denen Andreas de Biasio als Koordinator fungiert.
Über Profifußball und Nachwuchsarbeit hinaus hat sich das Spektrum des Fußballangebots bei 1860 erheblich verbreitert. Seit Juni 2015 wird Blindenfußball gespielt; in den Jahren 2016 und 2017 agierte die Mannschaft, jeweils in einer Spielgemeinschaft, auf höchster Ebene in der Bundesliga. 2016 kam Futsal dazu, dieses Team agierte 2018/19 erstklassig, in der Regionalliga Süd, und gewann zugleich den Pokal des Bayerischen Fußballverbands. Und im Jahre 2020 gelang es, erstmals seit langem wieder, den Frauenfußball bei 1860 zu etablieren. Die Entwicklung in all diesen Sparten leidet derzeit natürlich erheblich unter den durch die Pandemie bedingten Einschränkungen.
Während es bei den Fußballern also ab und auf ging, sind in einigen anderen Abteilungen Spitzenleistungen zu verzeichnen.
Linus Straßer aus der Skiabteilung bestritt im Oktober 2013 sein erstes Weltcuprennen und feierte am 31. Januar 2017 in einem Parallelslalom in Stockholm seinen ersten Sieg in diesem Wettbewerb. 2018 nahm er an den Olympischen Winterspielen im koreanischen Pyeongchang teil. Der Winter 2020/21 sollte sein erfolgreichster werden. Am 6. Januar 2021 gewann er den Weltcupslalom von Zagreb; eine Woche später folgte ein 2. Platz in Adelboden. Bei der WM 2021 in Cortina d‘Ampezzo lief es im Einzelrennen nicht so gut, doch als Ersatzfahrer gehörte er zu dem Team, das im Mannschaftswettbewerb den 3. Platz belegte. Mit der Skicrossläuferin Celia Funkler stellte die Skiabteilung 2018 eine weitere Olympiateilnehmerin, die sich dort allerdings leider im Training eine schwere Verletzung zuzog und im Rennen nicht antreten konnte. Und mit Fabiana Dorigo hat es eine junge alpine Rennläuferin von den Löwen in den Weltcupkader des Deutschen Skiverbands geschafft.

Die Munich Dynamite feierten 2019 in ihrem dritten Bundesliga-Jahr die Deutsche Meisterschaft im Roller Derby.
Der Rollsport konstituierte sich am 28. Februar 2012 als eigenständige Abteilung im TSV 1860. Aushängeschild der Abteilung sind die Roller Derby Teams der Munich Rolling Rebels. Das erste Team, Munich Dynamite, stieg 2015 in die 2. Bundesliga auf und rollte im folgenden Jahr sofort in die 1. Bundesliga. Dort belegten die Skaterinnen 2017 den 4. und 2018 den 3. Platz, bevor es 2019 gelang, die Deutsche Meisterschaft zu erringen! Die Spielerinnen der Rolling Rebels überzeugen jedoch nicht nur im sportlichen Wettbewerb, sondern machten im Regenbogen-Outfit bei der Christopher Street Day Parade mit, um so ihr Eintreten für Toleranz und Vielfalt zu dokumentieren.
Außerordentlich verdienstvolle Integrationsarbeit leistet auch die Boxabteilung unter der Leitung von Ali Cukur. Damit einher gingen einige großartige Erfolge im Ring. Magomed Schachidov wurde 2017 Deutscher Vizemeister; und bei den Meisterschaften des Jahres gelang gleich drei Löwenboxern der Sprung aufs Treppchen: Ahmed Ham holte Bronze im Leichtgewicht, Zebair Hamidi Silber im Fliegengewicht und als Krönung sicherte sich Kenan Husovic den Titel im Superschwergewicht. Die Hoffnungen, 2020 mit einer eigenen Staffel in der Bundesliga antreten zu können, erhielten durch die Pandemie einen Dämpfer, doch der Traum wird in absehbarer Zeit hoffentlich Wirklichkeit werden.
Im Jahre 2016 stieß mit der mehrfachen Olympiasiegerin Birgit Kober eine herausragende Behindertensportlerin zu den Löwen. Die Leichtathletin avancierte damit zugleich zum Aushängeschild der im September 2016 begründeten Abteilung für Behindertensport. Bei den Paralympics in Rio de Janeiro hatte sie die Goldmedaille im Kugelstoßen gewonnen; 2018 holte sie in Berlin als Mitglied des TSV 1860 den Europameistertitel in dieser Disziplin und stellte dabei einen Weltrekord auf.
Die Behindertensportler sind nicht die einzige neue Abteilung, die in den letzten Jahren den TSV 1860 bereicherte. Die Rollsportler wurden bereits erwähnt, ebenfalls zu nennen sind hier die eSportler, seit 2019 aktiv, und die Abteilung für Vereinsgeschichte, die im Februar 2020 gegründet wurde. Die traditionsreiche Ringerabteilung wurde seit 2012 wieder aufgebaut; die Bergsportler bieten seit 2017 auch Klettern und Bouldern an. Um möglichst vielen Abteilungen eine Heimat auf dem Vereinsgelände bieten zu können, wird das Projekt des Neubaus einer Sporthalle vorangetrieben, die auch weitere Räumlichkeiten bieten wird, u.a. hoffentlich auch für das angestrebte Vereinsmuseum.
Als Präsidenten amtierten in den Jahren von 2014 bis heute Gerhard Mayrhofer (bis 2015), danach interimsweise Siegfried Schneider, gefolgt von Peter Cassalette (November 2015 bis Juni 2017), und seither Robert Reisinger, der das Amt damit länger innehat als jeder seiner Vorgänger seit Karl-Heinz Wildmoser. Noch länger währen bereits die Amtszeiten der gegenwärtigen Vizepräsidenten Heinz Schmidt (seit 2013) und Hans Sitzberger (seit 2015). Kontinuität herrscht auch auf der Geschäftsstelle, deren Leitung seit 2012 in den Händen von Ekkehardt Krebs liegt. Seit 2017 beschäftigt der Verein im organisatorischen Bereich mit Viola Oberländer zudem eine Vereinsmanagerin, die als Ansprechpartnerin sowohl für die Abteilungen wie auch Unterstützer und Förderer fungiert. Ihre Anstellung bekräftigt den Anspruch des TSV 1860, ein über den Fußball hinausreichender moderner Breitensportverein zu sein – an dem vielleicht sogar Max Merkel Gefallen finden könnte!
Teil 1: Die Gründung eines Traditionsvereins – 160 Jahre TSV München von 1860
Teil 2: Echt turnerische Brüderlichkeit
Teil 3: Die Stadiongeschichte(n) der Fußballer des TSV 1860
Teil 4: Der Verein wächst
Teil 5: Der Verein zwischen 1914 und 1933 – eine sportliche und politische Vereinsgeschichte
Teil 6: TSV 1860 von 1933-1945 – Die NS-Zeit: Ein dunkles Kapitel in der Vereinsgeschichte
Teil 7: Die Ära Wetzel: Sportliche Erfolge haben ihren Preis
Teil 8: Die Zeit von 1970-1990: Anfangs auf und ab – später Lizenzentzug
Teil 9: Die Ära Wildmoser von 1990-2004: Aufstieg und Fall einer Vereinsikone
Teil 10: Turbulente Zeiten 2004 bis 2014
Bilder aus 16 Jahrzehnten Sechzig
20. Oktober 2022