Die Abteilung für Vereinsgeschichte veröffentlicht im Jubiläumsjahr jeden Monat einen Artikel zur Historie der Löwen. Diesmal beleuchtet Stephanie Dilba die Gründerjahre bis zur Jahrhundertwende.
„Der Turnverein München … bezweckt den Betrieb und die Förderung des deutschen Turnens durch schulgerecht geordnete Uebungen, die auf Kraft, Gewandtheit, Gesundheit und Schönheit des Körpers abzielen, die sittliche und Willenskraft heben und stärken, sodann durch Pflege der Vaterlandsliebe und des Gemeinsinns. Die Mittel hierzu sind: das Schul- und Kürturnen, das Turnspiel, die Turnfahrt, die Sorge für Belehrung und Geselligkeit, die mögliche Gelegenheit zu dem Turnen verwandten Leibesübungen und zur Uebung des Männergesanges.“ (Satzung 1888/91)
Tatkräftig stürzten sich die Gründungsmitglieder unter dem Vorstand Ludwig Schittler in den Aufbau des Vereins. Geturnt wurde zunächst auf einer gepachteten Wiese an der Müllerstraße und in einem umgebauten Saal einer ehemaligen Fabrik. Das erste Turngeräte-Inventar bestand aus drei Barren, zwei Reckgerüsten, einer Springeinrichtung zum Hoch-, Weit- und Tiefspringen und 30 Paar Hanteln. Der Vereinsbeitrag betrug zwölf Kreuzer im Sommer und 18 Kreuzer im Winter. Montags und samstags fand Riegenturnen statt, mittwochs Kürturnen, dienstags und freitags wurde gefechtet. Zum Jahreswechsel 1860/61 hatte der Verein bereits 212 Mitglieder.
Im Januar 1861 wurde eine Riege für junge Leute nach der Schulentlassung (sog. „Mitturner“) gegründet. Zur ersten Probe des Gesangskreises trafen sich am 1. März 1861 48 Mitglieder. Eine Vereinsbibliothek wurde eingerichtet, die nach einem knappen Jahr über 50 Werke verfügte. 1862 wurde das Mädchenturnen eingeführt.
An der Jahnstraße (heute Hans-Sachs-Straße) wurde zum 3. Stiftungsfest die erste eigene Turnhalle eröffnet.
Das Jahr 1863 war ein ganz besonderes für den Verein, der mittlerweile über 600 Mitglieder zählte: An der Jahnstraße (heute Hans-Sachs-Straße) wurde zum 3. Stiftungsfest die erste eigene Turnhalle eröffnet. Als erster Münchner Turner konnte Franz Schlegel beim dritten deutschen Turnfest in Leipzig den 2. Platz im Steinstoßen und Weitwurf gewinnen.
In den kommenden Jahren entwickelte sich der Verein stetig weiter: Im Juni 1864 wurde in einem durch den Freiturnplatz führenden Isararm ein Bad mit Schwimmschule errichtet. Am 1. Dezember 1866 erfolgte die Fusion mit dem Männer-Turnverein München. 1869 wurde eine Alt Herren-Riege gegründet, 1870 das Lehrlingsturnen am Sonntag eingeführt, 1875 eine Vorturnerschule eingerichtet. Beim 4. Bayerischen Turnfest 1875 in Regensburg konnten Vereinsmitglieder sechs von zwölf Kränzen gewinnen.
1880 wurden eine einheitliche Turnkleidung sowie ein Vereinszeichen – ein Münchner Kindl, das ein Schild mit dem Turnerzeichen trägt – eingeführt. Beim 5. Deutschen Turnfest im gleichen Jahr in Frankfurt, an dem insgesamt neun Vereinsmitglieder teilnahmen, errang Paul Fischer den 7. Gesamtpreis. Bei regionalen und überregionalen Turnfesten in den kommenden Jahren konnten weitere Erfolge Münchner Turner gefeiert werden. So gewann z.B. beim 8. Deutschen Turnfest in Breslau 1894 Dr. Körting im Hochsprung mit einer Höhe von 1,90 m den 8. Kranz.
Apropos feiern: In den ersten Jahrzehnten bildeten Feste einen wesentlichen Bestandteil des Vereinslebens. Neben den jährlichen Feierlichkeiten zum Stiftungsfest wurden Masken-/Kostümbälle veranstaltet, Mai- und Waldfeste gefeiert und Christbaumfeiern veranstaltet.
Der Verein beteiligte sich zudem an öffentlichen Feierlichkeiten und Gedenkveranstaltungen wie 1871 dem Empfang der Truppen des deutsch-französischen Kriegs oder 1891 der Feier zum 70. Geburtstag des Prinzregenten Luitpold. Wiederholt führte der Verein Wohltätigkeitsveranstaltungen wie Turnfeste, Gesangsvorstellungen oder Varieté-Abende durch, mit denen z.B. Angehörige von Kriegsverwundeten oder Opfer von Naturunglücken unterstützt wurden.
Dass das gesellschaftliche Engagement des Vereins über das Vereinsleben hinausging, zeigt sich auch in der Gründung eine freiwilligen Feuerwehr (1863) und eines Turner-Sanitätszugs (1887). Zu den Mitgliedern des Vereins zählten zahlreiche Akademiker und Kaufmänner sowie Mitglieder des Stadtrats, des Land- und des Reichstags. Bedeutende Personen wie der Prinzregent Luitpold, Prinzessin Therese von Bayern oder Max von Pettenkofer statteten dem Verein Besuche ab.
1888 wurde die erste „Damenriege für Damen im Alter von über 16 Jahren“ gegründet. Damit war 1860 der erste Verein in München, der Damenturnen anbot. „Frauenspersonen“ konnten allerdings keine ordentlichen Mitglieder werden und hatten weder Stimm- noch Wahlrechte im Verein.
Das Jahr 1889 markiert einen weiteren Meilenstein in der Geschichte des Vereins: Am 30. Mai wurde der Grundstein für das neue Vereinshaus an der Auenstraße gelegt, welches zum Jahresende bezogen wurde. Es galt als „das größte, schönste und besteingerichtete seiner Zeit, nicht nur Münchens“ .
Zur Jahrhundertwende zählte der Verein 1.739 Mitglieder; besonderen Zuwachs gab es bei den Damenriegen, rege Spieltätigkeit herrschte in der Spiel-Riege, welche 1899 ins Leben gerufen wurde. Aber dazu mehr im nächsten Artikel…
Bilder aus 16 Jahrzehnten Sechzig
20. Oktober 2022