Die Fäuste nach oben!
Die jungen Boxer des TSV 1860 München reisten nach Kuba und trainierten in Havanna mit der Jugendnationalmannschaft des Landes. Außerdem verdienten sich die Löwen-Faustkämpfer auf den Bayerischen und Deutschen Meisterschaften wieder zahlreiche Titel.
„Die Kubaner haben mir die ers- ten Tage richtig auf die Fresse gegeben.“ Magomed Schachidov, der Bayerische Amateur-Meister im Weltergewicht, strahlt den- noch: „Hier sparre ich gegen ebenbürtige Gegner. Das hat mir daheim gefehlt. Jetzt muss ich noch mal ganz neu an meinem Distanzgefühl arbeiten.“
Schachidov tropft der Schweiß von Kinn, Armen und Beinen. Sein Trainer Levan Janjgava hält ihm die Wasserflasche an den Mund. Acht Runden Sparring – bei 30 Grad im Schatten und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. „Ich hatte schon in der zweiten das Gefühl, dass mir die Beine wegsacken.“ Schwergewichtler Rashad Pekpassi hängt schwer atmend an der Reling der Boxhalle. „Wenn man sieht, wie die trainieren, dann wird man selbst motivierter“, pflichtet ihm sein Münchner Kollege Emil Breuer bei.
Ein Boxcamp in Havanna, Kuba – dahinter steckte neben dem sportlichen auch ein pädagogisches Anliegen. Ali Cukur, Cheftrainer der Box-Abteilung, sagt, er habe die Anzahl der Nationalitäten unter den etwa 500 Mitgliedern gezählt und sei auf über 30 gekommen. Alle redeten über Integration. Bei den Boxern des TSV1860 werde sie praktiziert.
„Unsere aktiven Boxer sind zum Großteil Migranten und Flüchtlinge, fast alle kommen aus einfachen bis sozial schwierigen Verhältnissen. Deswegen versuchen wir, ihren Horizont durch Reisen zu erweitern, ihr Bewusstsein für ihre Chancen zu schärfen“.
Ein Trainingscamp in Ghana machte im Dezember 2015 den Anfang. Auch ein – von den Sechzigern mit eleganter Technik und viel Einsatz gewonnener – Vergleichskampf mit einer Besten-Auswahl der Londoner Boxclubs im Mai 2016 in München setzte internationale Akzente.
Nun schwitzten die bayerischen Boxer mit der kubanischen Jugend-Elite in Alamar, einer Vorstadt von Havanna. Sieben bayerische Faustkämpfer absolvierten hier das wohl härteste Sparring ihres Lebens. Daniel Jaß, Kenan Husovic, Magomed Schachidov, Rashad Pekpassi, Uvel Fernandez und Emil Breuer lernten mit den Kubanern zu tanzen. Alexandra Hubrig, die sich wie ihre Kollegen in Havanna auf die Bayerische und Deutsche Meisterschaft vorbereiten wollte, musste sich – sie war beim Joggen schwer gestürzt und hatte sich die Hand aufgerissen – mit Schattenboxen begnügen.
Blitzschnelle Beinarbeit. Und Fäuste aus allen Positionen heraus. Die Münchner brauchten ein paar Runden, um sich an die Nadelstich-Taktik der Kubaner zu gewöhnen. Am Ende erwiesen sie sich ihren Gegnern – mehrere der Kubaner wurden im folgenden Monat Jugend-Weltmeister – als ebenbürtig. „Sie haben an Durchhaltevermögen gewonnen“, konstatierte Trainer Jengjava.
Allerdings mussten die Münchner nur zwei Tage nach der Heimkehr um die Bayerischen Meisterschaften boxen. Trotz Jetlags gewannen sie drei Titel und die Auszeichnung als bestes Team (auch bei den Oberbayerischen Meisterschaften im März hatten sie als bester Verein mit acht Titeln abgeschnitten). Vier Löwen-Boxer – Daniel Jaß, Kenan Husovic, Magomed Schachidov, Rashad Pekpassi – boxten dann im November auch bei den Deutschen Meisterschaften. Besonders Magomed Schachidov glänzte hier erneut durch überragende Technik. Er boxte sich bis ins Finale – und wurde aufgrund seiner Leistung zur deutschen Nationalmannschaft eingeladen.
Nun kann sich der TSV 1860 zu Recht als eine der besten Amateur-Boxabteilungen Deutschlands rühmen. Wie begehrt die Münchner Boxer sind, beweist eine Anekdote: Beim jährlichen Bodensee-Cup zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz haben bereits Vereine aller drei Länder die Boxer aus München angefragt. „Unsere Boxer-Löwen“, konstatiert Cheftrainer Ali Cukur zufrieden, „sind inzwischen weit über die deutschen Grenzen bekannt“.
Jonathan Fischer
20. Oktober 2022