Die Abteilung für Vereinsgeschichte veröffentlicht im Jubiläumsjahr jeden Monat einen Artikel zur Historie der Löwen. Dieses Mal berichtet Bernd Oswald über die Zeit zwischen 1945 und 1970, in die viele sportliche Erfolge fielen.
Der Zweite Weltkrieg hatte ein Trümmerfeld hinterlassen – auch beim TSV 1860. Stadion und Vereinsheim waren zerstört, zahlreiche Mitglieder gefallen und vermisst.
Die ehemaligen Vereinsführer bzw. Abteilungsleiter Ebenböck, Ketterer und Gleixner wurden von den Amerikanern in Internierungslager gesteckt. „Gänzlich ungerechterweise“ sei das im Falle Ketterers gewesen, der sich „so ungeheure Verdienste um den Verein erworben habe“, hieß es noch 1960 in der Chronik zum 100-jährigen Vereinsjubiläum, die sonst kaum ein Wort über die NS-Zeit verlor.
In den Entnazifizierungsverfahren wurde Emil Ketterer, der dem TSV von 1936-1945 vorgestanden hatte, nur als Mitläufer eingestuft, Fritz Ebenböck erst als Minderbelasteter, schließlich nur noch als Mitläufer. Die härteste Strafe erhielt der langjährige Fußballabteilungsleiter Sebastian Gleixner. Die Spruchkammer München VIII stufte ihn als Hauptschuldigen ein und verurteilte ihn unter anderem zu fünf Jahren Arbeitslager und 75 Prozent Vermögensentzug.
1948: 58.000 Zuschauer im zerstörten Grünwalder Stadion

Fast 60.000 Zuschauer waren 1948 beim Spiel gegen den 1. FC Nürnberg im Grünwalder Stadion.
Schon unmittelbar nach Kriegsende richtete die Stadt das Stadion an der Grünwalder Straße notdürftig her, so dass schon im August 1945 wieder das erste Spiel (gegen den FC Bayern) stattfinden konnte. In der Saison 1945/46 fand wieder ein regulärer Ligabetrieb statt, die Fußballspiele zogen immer mehr Zuschauer an. Am 14. März 1948 drängten sich mehr als 58.000 Zuschauer im immer noch stark beschädigten Grünwalder Stadion, um das Spitzenspiel zwischen 1860 und dem 1. FC Nürnberg in der Oberliga Süd mitzuverfolgen. Zugelassen gewesen wären nur 45.000. Diese Marke bildet bis heute den Zuschauerrekord im Grünwalder Stadion. 1951 war der Wiederaufbau des Stadions vollendet.

Vor Anpfiff des Spiels gegen den Club drängten berittene Polizisten die Zuschauer vom Spielfeld.
Der Verein machte sich seinerseits unter anderem mit Spenden von Mitgliedern an den schrittweisen Wiederaufbau des Vereinsheims in der Auenstraße. 1955 war das Vorderhaus fertig, bei der Turnhalle dauerte es bis 1963.
Adalbert Wetzel – ein beliebter Präsident

Adalbert Wetzel war von 1952 bis 1969 Präsident der Sechzger.
Prägende Persönlichkeit im Verein war zu dieser Zeit Adalbert Wetzel. 1946 war er Leiter der Fußballabteilung geworden, 1950 wurde er zum Vizepräsidenten und 1952 zum Präsidenten des TSV 1860 gewählt. Wetzel war ein vermögender Geschäftsmann und nach dem Krieg Direktor der Münchner Coca-Cola-Fabrik. Er unterstütze Sportler des TSV 1860 mit Geld und Lebensmitteln, einige stellte er in seiner Firma an – teilweise nur pro forma, damit sich die Sportler ganz auf ihren Sport konzentrieren konnten.
Wetzel war wegen seiner hilfsbereiten und väterlichen Art im Verein sehr beliebt. Dazu kam, dass seine Amtszeit als eine der erfolgreichsten in der Geschichte des TSV 1860 gilt, vor allem sportlich:
-
Die Hürdenläuferin Kreszentia „Zenta“ Kopp lief 1986 mit 10,6 Sek. Weltrekord über 80 m.
Die Leichtathleten gewannen von 1947 bis 1959 ununterbrochen die Deutsche Mannschaftsmeisterschaft, die Frauen holten diesen Titel 1958. Zenta Kopp lief 1956 einen Weltrekord über 80 Meter Hürden.
- Die Feldfaustball-Frauen gewannen von 1947 bis 1950 vier Mal in Folge die Deutsche Meisterschaft.
- 1963 entstand die Tanzsportabteilung: 1968, 70 und 71 gewannen Hanni und Peter Neubeck den Amateur-Weltmeistertitel in den Lateinamerikanischen Tänzen.
- Die Basketball-Herren zählten 1966 zu den Gründungsmitgliedern der Bundesliga.
Die Goldenen Sechziger für die Sechzger

1966 gewannen die Löwen zum ersten und bisher einzigen Mal die Deutsche Fußball-Meisterschaft.
In erster Linie ist die Ära Wetzel aber mit den Erfolgen der Fußballer verbunden, die in den Sechziger Jahren ihre erfolgreichste Zeit hatten. Vor allem unter dem Österreicher Max Merkel, den Wetzel 1961 als Cheftrainer engagiert hatte. Merkel führte die Löwen 1963 zur Süddeutschen Meisterschaft, was ihnen auch die Qualifikation für die im Sommer 1963 gegründete Fußball-Bundesliga einbrachte. 1964 folgte der Sieg im DFB-Pokal, 1965 der Einzug ins Finale des Europapokals der Pokalsieger: Das Spiel vor fast 100.000 Zuschauern ging im Londoner Wembley-Stadion zwar 0:2 gegen West Ham United verloren, gilt aber bis heute als das größte Spiel der Vereinsgeschichte. Die Krönung der Ära Merkel war schließlich die Deutsche Meisterschaft 1966.
Dann ging es allerdings auch fast genauso schnell wieder bergab: Im Dezember 1966 gab es eine Spielerrevolte gegen Max Merkel, der mit seinem harten Trainingsstil und seinem bisweilen rauen Umgangston die Mannschaft gegen sich aufgebracht hatte. Kapitän Peter Grosser teilte Präsident Wetzel telefonisch mit, dass die Mannschaft nicht mehr unter Merkel spielen wolle. Wetzel musste zähneknirschend der Entlassung des von ihm sehr geschätzten Merkel zustimmen. In der Saison 1966/67 sprang zwar noch einmal die Vizemeisterschaft heraus, danach ging es aber stetig bergab: Es gab viele Trainerwechsel, die Nationalspieler und Leistungsträger verabschiedeten sich nach und nach. Die Folge: der Abstieg in die Regionalliga Süd 1970.
Mitgliederzahl verdoppelt sich in den Sechzigern
Die Erfolge der Fußballabteilung hatten auch große Auswirkungen auf den Gesamtverein, der seinen Bekanntheitsgrad in Deutschland steigern konnte. Auch die Mitgliederzahl verdoppelte sich von rund 3.000 Mitgliedern Anfang der Sechziger Jahre auf knapp 6.500 im Jahr 1969.
Der Profi-Fußball forderte allerdings seinen Preis: Merkel und Spieler wie Brunnenmeier, Radenkovic und Konietzka verdienten vergleichsweise viel Geld, Trainer Merkel sogar mehr als der Bundeskanzler. Die Finanzierung des Profifußballs verschlang einen Großteil des Vereinsbudgets – und das, obwohl Präsident Wetzel auch erhebliche private Mittel in den Verein einbrachte.
1969 mehr als zwei Millionen Schulden
1969 trat Wetzel nach 17 Jahren als Vereinspräsident zurück – bis heute die längste Amtszeit – und wurde danach zum Ehrenpräsidenten ernannt. Auch wenn die Ära Wetzel vor allem sportlich als sehr erfolgreiche Zeit gilt, so führte sie zu einer steigenden Verschuldung. Franz Sackmann, Wetzels Nachfolger als Präsident, berichtete nach seinem Amtsantritt von einem Schuldenstand von mehr als zwei Millionen Mark. Wetzel selbst hat sich noch bis zu seinem Tod vorgeworfen, für den folgenden Niedergang des Vereins mitverantwortlich zu sein.
Teil 1: Die Gründung eines Traditionsvereins – 160 Jahre TSV München von 1860
Teil 2: Echt turnerische Brüderlichkeit
Teil 3: Die Stadiongeschichte(n) der Fußballer des TSV 1860
Teil 4: Der Verein wächst
Teil 5: Der Verein zwischen 1914 und 1933 – eine sportliche und politische Vereinsgeschichte
Teil 6: TSV 1860 von 1933-1945 – Die NS-Zeit: Ein dunkles Kapitel in der Vereinsgeschichte
Bilder aus 16 Jahrzehnten Sechzig
20. Oktober 2022